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47 Jahre nach dem Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, der Vorläuferorganisation der EU, hat das Vereinigte Königreich am 1. Februar 2020 die EU verlassen. Fast 50 Jahre war es Teil unserer einzigartigen Union. Mit dem Jahresende 2020 verlässt das Vereinigte Königreich mit Ablauf der Übergangsphase auch den EU-Binnenmarkt mit fast 450 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten.

Die Mitgliedstaaten der EU sind im Binnenmarkt aufs Engste miteinander verflochten: Unternehmen profitieren zum Beispiel von der Zollfreiheit, von einheitlichen Standards und können überall in der EU ihre Dienstleistungen erbringen; Bürgerinnen und Bürger reisen, arbeiten, studieren und leben in allen Mitgliedstaaten ohne Grenzen; sie können sich auf gleiche Mindeststandards im Verbraucherschutz oder dem Umwelt-, Sozial- und Arbeitsrecht verlassen; eine enge Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden stärkt die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bei gleichzeitig strengen datenschutzrechtlichen Anforderungen.

All dies entfällt im Verhältnis zum Vereinigten Königreich durch Verlassen des Binnenmarkts. Jedoch werden an deren Stelle nun mit dem erreichten Abkommen neue Regelungen treten, wie sie von beiden Seiten in umfassenden Verhandlungen und mit der Einigung am 24. Dezember 2020 ausgehandelt wurden. Nachdem alle Mitgliedstaaten ihre Zustimmung gegeben haben, wird das Abkommen bereits ab dem 1. Januar 2021 vorläufig angewendet. Nur so kann noch ein unkontrolliertes Ende der Übergangsphase vermieden werden. Die vorläufige Anwendung wird dem Europäischen Parlament Zeit geben, das Abkommen im neuen Jahr gründlich zu prüfen und seine Zustimmung zu erteilen.

Wie werden unsere künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich aussehen?

Ziel der EU war immer ein umfassendes Abkommen, das eine möglichst enge Partnerschaft zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich als unserem strategischen Partner in allen Bereichen vorsieht. Das nun erreichte Abkommen begründet eine solche tiefgreifende Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft. Diese beruht unter anderem auf einem Freihandelsabkommen, das weder Zölle noch Quoten vorsieht und damit bedeutende Handelshemmnisse abwendet. Eine solche Partnerschaft braucht aber auch gerechte Rahmenbedingungen. Deshalb haben beide Seiten weitreichende Regelungen vereinbart, um fairen Wettbewerb zu garantieren. Dies betrifft den Bereich der Staatlichen Beihilfen ebenso wie Standards im Verbraucherschutz, Arbeitnehmerschutz, Umwelt- und Klimabereich. Darüber hinaus haben sich die EU und das Vereinigte Königreich auch in vielen anderen Feldern über den Rahmen der künftigen Kooperation geeinigt: Hierbei geht es um Dienstleistungen, Berufsqualifikationen, öffentliche Beschaffung, Umwelt- und Energiefragen, Luft-, See- und Schienengüterverkehr sowie Regelungen zu Sozialversicherung oder Forschung und Entwicklung. Im Rahmen des Abkommens wird sich das Vereinigte Königreich auch in Zukunft an einer Reihe von EU-Programmen beteiligen.

Um der engen Verflechtung und geografischen Nähe von Europäischer Union und Vereinigtem Königreich Rechnung zu tragen, begründet das Abkommen zudem auch eine enge Sicherheitspartnerschaft. Diese ermöglicht die zukünftige Kooperation im Bereich Justiz und Inneres. Beide Seiten werden somit weiterhin beispielsweise im Rahmen von Europol eng bei der Verbrechensbekämpfung zusammenarbeiten und sich gemeinsam in der Bekämpfung von Geldwäsche, transnationalem Verbrechen und Terrorismus abstimmen. Auch regelt das Abkommen den gegenseitigen Datenaustausch, so zum Beispiel von Fluggastdaten oder Strafregistereinträgen. All dies wird im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Datenschutzniveau der EU geschehen.

Entgegen dem Wunsch der Europäischen Union enthält das Abkommen leider keine Regelungen zur Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die EU und das Vereinigte Königreich bleiben aber wichtige Partner in NATO, OSZE oder VN.

Trotz alldem gilt: Auch wenn der Abschluss eines Abkommens gelungen ist, wird sich das Verhältnis der EU zum Vereinigten Königreich grundlegend wandeln. Darauf müssen sich Staat, Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in der ganzen EU einstellen und vorbereiten.

Warum waren nach dem Austritt weitere Verhandlungen notwendig?

Damit die wichtigen politischen und wirtschaftlichen Verbindungen nicht von einem auf den anderen Tag abbrechen, wurde vor dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs ein Abkommen verhandelt, in dem verankert ist, dass sich während einer Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft erst einmal grundsätzlich nichts ändert. Dessen ungeachtet war stets klar, dass nach dem Brexit gerade die Änderungen in den Wirtschaftsbeziehungen trotz des neuen Abkommens für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen spürbar werden.

Neben dem Austrittsabkommen wurde als Rahmen für die zukünftige Partnerschaft die gemeinsame Politische Erklärung vereinbart, die im Kern eine Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft vorsieht. Diese war Ausgangspunkt für die Verhandlungen über das künftige Verhältnis.

Wie verliefen die Verhandlungen?

Die Europäische Kommission führte die Verhandlungen zum künftigen Verhältnis mit dem Vereinigten Königreich im Einklang mit der Politischen Erklärung auf Basis des Mandats der EU-Mitgliedstaaten vom 25. Februar 2020 und eines umfassenden Vertragsentwurfs, der am 18. März 2020 veröffentlicht wurde. Der enge Zeitrahmen ließ den Chefunterhändlern Michel Barnier auf EU-Seite und David Frost auf britischer Seite nur wenig Zeit für eine Einigung. Aus diesem Grund wurde in den letzten Monaten in elf Verhandlungssträngen parallel zu den verschiedenen Themenbereichen verhandelt. Zuletzt wurde der Verhandlungsrhythmus immer weiter intensiviert, sodass man sich am 24. Dezember 2020 noch vor dem Ende der Übergangsphase auf das nun vorliegende umfassende Abkommen einigen konnte.

Lange lagen die Verhandlungspositionen bei wichtigen Themen wie Vertragsarchitektur, fairen Wettbewerbsbedingungen/Level-Playing-Field oder Fischerei weit auseinander. Umso erfreulicher ist es aus deutscher Sicht, dass nach intensiven Verhandlungen eine Einigung erzielt werden konnte.

Unabhängig von den Verhandlungen zum zukünftigen Verhältnis haben sich die EU, ihre Mitgliedstaaten, Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen bereits auf die Folgen des Endes der Übergangsphase vorbereitet. Dies sind Vorbereitungen, die in jedem Falle nötig sind, weil das Vereinigte Königreich zum Ende der Übergangsphase den EU-Binnenmarkt verlässt. Die Europäische Kommission hat dazu in den letzten Monaten über 90 Vorbereitungsmitteilungen (sogenannte „readiness notices“) für zahlreiche Wirtschaftssektoren und Lebensbereiche veröffentlicht. Während der deutschen Ratspräsidentschaft war die Bundesregierung innerhalb der EU mit der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten und auf nationaler Ebene mit allen Stakeholdern (Wirtschaft, Verbände, Bürgerinnen und Bürgern) hierzu in sehr engem Kontakt und wird diesen fortsetzen.

Was bedeutete das für die deutsche Ratspräsidentschaft?

Die Verhandlungen über das Abkommen zu den zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wurden für die EU durch die Kommission von Michel Barnier und seinem Team geführt. Alle 27 EU-Mitgliedstaaten standen während der schwierigen Verhandlungen geschlossen hinter dem Chefverhandler. Dies ist auch ein Verdienst des deutschen Ratsvorsitzes seit 1. Juli 2020 im Ausschuss der Ständigen Vertreter und dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten. Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit in diesem Rahmen war die Basis für effektives, kohärentes und transparentes Vorgehen der EU in den Verhandlungen.