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In den vergangenen Wochen wurde in Deutschland in der Presse und in den sozialen Medien das Thema Antisemitismus breit diskutiert. Auslöser war eine als Musikkritik getarnte Generalkritik an dem jüdischen Pianisten Igor Levit. Genauer gesagt, an dessen gesellschaftlichem Engagement und seinem Kampf gegen rechts.

Der Autor sprach von „Opferanspruchsideologie“. So als sei Levit selbst für die Angriffe gegen ihn verantwortlich, weil er sich gegen Antisemitismus wehrt.

So als nutze er den Umstand, dass er seine Konzerte zum Teil unter Polizeischutz geben muss, für die eigene Publicity.

Es folgten Entschuldigungen und einmal mehr Debatten darüber, was man wohl noch sagen dürfe. Als ginge es „nur“ um verletzte Befindlichkeiten und nicht um ein brandgefährliches gesamtgesellschaftliches Problem.

Die Autorin Carolin Emcke war dazu mal wieder auf dem Punkt: „Rassismus und Antisemitismus werden nicht nur gefühlig empfunden, sie sind strukturelle Diskriminierungen und reelle Gefahren.“

Das erschreckende an Debatten wie diesen ist, dass sie teilweise auch von Intellektuellen so geführt werden, als gäbe es keinen alltäglichen Antisemitismus, egal ob völlig unverblümt oder getarnt als Israel- oder Kunst-Kritik.

Fast so als hätte „Nie wieder“ heute nur noch eine historische Funktion.

Dabei geht es um Verantwortung im Hier und Jetzt. Verantwortung dafür, Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Intoleranz zu erkennen und schon in ihren Ansätzen zu bekämpfen.

Die Bundesregierung hat dazu viel auf den Weg gebracht. Einen Kabinettsausschuss, der sich mit den Fragen der Bekämpfung von Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus beschäftigt und der sehr bald konkrete Ergebnisse vorlegen wird.

Wir gehen das Thema als eine Querschnittaufgabe für die gesamte Politik an. Ich sage aber auch, im Kern ist die Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus eine Frage für Kultur und Bildung, national wie international.

Deswegen haben wir im vergangenen Jahr das Europäische Netzwerk für den Kampf gegen Antisemitismus durch Bildung, kurz ENCATE, gegründet.

Ich freue mich, dass Sie sich heute wieder treffen und wünsche Ihnen einen fruchtbaren Austausch!

Und auch wir arbeiten mit unseren europäischen Partnern daran, den Kampf gegen Antisemitismus zu einer Querschnittsaufgabe in der gesamten Europäischen Union zu machen.

Vor einigen Wochen haben wir die europäische Antisemitismusbeauftragte und Vertreter von Ministerien, Polizei und Justiz aus der gesamten EU zusammengebracht, um unsere Instrumente und Strategien im Kampf gegen Antisemitismus besser abzustimmen.

Am Ende unserer EU-Ratspräsidentschaft wollen wir gemeinsam mit der EU-Kommission ein Handbuch zur Annahme und Anwendung der Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken veröffentlichen.

Um deutlich zu machen, dass Antisemitismus nirgendwo in Europa akzeptabel ist. Und unser Vorgehen dagegen auf eine gemeinsame Basis zu stellen.

Meine Damen und Herren, das allein reicht aber nicht aus. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, die Kindern und Jugendlichen vorlebt, was es heißt, Zivilcourage zu zeigen und Jüdinnen und Juden beizustehen.

Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, die laut „Nein“ sagt, wenn Menschen antisemitisch beleidigt oder angegriffen werden – egal, ob es um Igor Levit oder den Kippa tragenden Nachbarn geht.

Eine starke Zivilgesellschaft, die sich europaweit vernetzt, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen.

Kurz gesagt: Wir brauchen mehr Initiativen wie Ihre und mehr Menschen wie Sie.

Und deshalb vielen Dank für Ihr Engagement! Und viel Kraft und Erfolg bei Ihrer so wichtigen Arbeit!

(Videoaufzeichnung am 27.10.)