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Als mit der Unterzeichnung des Vertrages zur Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 25. März 1957 im Kapitol in Rom die Grundlagen für die heutige Europäische Union gelegt wurden, war die Verkehrspolitik bereits Bestandteil der damaligen Vereinbarungen: Neben der Abschaffung von Zöllen und der Einführung einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber Drittstaaten legt Artikel 3 „die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten“ und ausdrücklich „die Einführung einer gemeinsamen Politik auf dem Gebiet des Verkehrs“ fest.

Heute ist die Gemeinsame Verkehrspolitik eine zentrale Säule des Gemeinsamen Marktes in der Europäischen Union. Sie ist maßgeblich für die Realisierung der Personenfreizügigkeit, der Dienstleistungsfreiheit und des freien Warenverkehrs. Mit rund 9 Prozent der europäischen Bruttowertschöpfung im Jahr 2016 leistet der Verkehrssektor zudem einen signifikanten Beitrag zur wirtschaftlichen Prosperität der Union: Allein 2016 summierte sich die Wirtschaftsleistung in diesem Bereich auf rund 664 Milliarden Euro, erwirtschaftet von etwa 11 Millionen Beschäftigten.

Harmonisieren oder liberalisieren – das war die Frage

Doch obwohl der Verkehrssektor in den Römischen Verträgen ausdrücklich genannt wird, sollte es fast drei Jahrzehnte dauern, bis die 1957 getroffenen Verabredungen in konkrete politische Maßnahmen umgesetzt wurden. Grund dafür war eine langjährige, grundsätzliche Auseinandersetzung über die Frage, ob gemeinsame Politikbereiche in der EG erst liberalisiert, also für andere Markteilnehmer im Gemeinsamen Markt geöffnet, oder erst harmonisiert, also regulatorisch angeglichen werden sollten. Deutschland setzte sich mit anderen Mitgliedstaaten stets dafür ein, zunächst für eine regulatorische Angleichung zu sorgen, um so die folgende Liberalisierung zu erleichtern.

Der steigende politische Druck zur Vollendung des Binnenmarktes und nicht zuletzt eine „Untätigkeitsklage“ des Europäischen Parlaments vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), gaben schließlich den Anstoß für die Entwicklung einer aktiven Verkehrspolitik der damaligen Europäischen Gemeinschaften (EG). Das im Mai 1985 vom EuGH gefällte Urteil verpflichtete den Rat der EG dazu, die in anderen Bereichen bereits realisierte Dienstleistungsfreiheit auch im Verkehrssektor herzustellen.

So wurden noch 1985 entscheidende Weichen gestellt: Im Juni legten die Staats- und Regierungschefs in Mailand ihr „Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes“ vor, in dem auch ein freier Markt im Bereich des Güterverkehrs bis 1992 vorgesehen war. Im November legte dann der Rat der Verkehrsministerinnen und -minister der EG nach: Ab 1992 sollten nicht nur die bis dahin bestehenden Mengenbegrenzungen im grenzüberschreitenden Verkehr abgeschafft werden, auch weitere Wettbewerbsverzerrungen wie Maut-Gebühren oder Kfz-Steuern mussten fortan ausgeglichen werden.

Vertrag von Maastricht als Wendepunkt

Mit der Gründung der Europäischen Union durch die Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht im Februar 1992 wurde nicht nur die verabredete Marktöffnung und die Schaffung eines EU-weiten Verkehrsbinnenmarktes realisiert, zum ersten Mal wurden auch Fragen der Verkehrssicherheit, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und nicht zuletzt auch des Umweltschutzes aufgenommen. Seitdem ist es auch erklärtes Ziel der EU, die Verkehrsinfrastruktur der Mitgliedstaaten unter dem Begriff „Transeuropäische Netze“ (TEN) stetig weiter zu integrieren.

Nachhaltige Mobilität und Wachstum in Einklang bringen

Seit den 1990er-Jahren und insbesondere seit der Ost-Erweiterung 2004 nahm der Güterverkehr in der EU rasant zu, während die Anteile anderer Verkehrsträger wie Schiene oder Binnenschifffahrt stagnierten. Vor diesem Hintergrund wurde das Konzept einer nachhaltigen und „intermodalen“, also kombinierten Mobilität immer bedeutender. Wichtigster Hebel: den Güterverkehr von der Straße auf Schiene, See- und Binnenschifffahrt zu verlagern und die wechselseitige Anschlussfähigkeit zwischen den einzelnen Verkehrsträgern und -systemen zu erhöhen. So sollen ausgewogenere Anteile der einzelnen Verkehrsträger erreicht und sollen Sicherheit und Nachhaltigkeit gewährleistet und verbessert werden.

Von Ordnungspolitik im Verkehr zur Mobilität der Zukunft

War die Gemeinsame Verkehrspolitik in Europa zunächst eher ein ordnungspolitischer Teilbereich des Gemeinsamen Marktes, so führte die Zunahme des Verkehrs in der EU und in jüngerer Zeit vor allem die dringlicher werdende Debatte um den Klimawandel dazu, dass die ordnungspolitische Dimension zugunsten konkreter Verkehrspolitik in den Hintergrund trat. Beispiele sind etwa das europäische Satellitennavigationssystem Galileo, das die intelligente Steuerung von Verkehrsströmen mit digitaler Souveränität verbindet oder das Europäische Eisenbahnverkehrsleitsystem (ERTMS), mit dem nationale Eisenbahnnetze enger miteinander verzahnt werden sollen. Doch auch der Individualverkehr braucht innovative Lösungen: So verbringen z.B. Bürgerinnen und Bürger in Deutschland im Schnitt 41 Stunden im Jahr damit, einen Parkplatz zu suchen. Eine „Smart-Parking“-Lösung, die freie Parkplätze auf einer entsprechenden Plattform anzeigt, hat ein Einsparpotenzial von etwa einer Million Tonnen CO2 jährlich. Die Ziele der EU sind indes klar: Dem aktuellen „Weißbuch zum Verkehr“ der EU-Kommission zufolge soll der Straßengüterverkehr bis 2030 um 30 Prozent und bis 2050 um über 50 Prozent auf andere Verkehrsträger wie Eisenbahn- oder Schiffsverkehr verlagert werden. Im Bereich städtischer und individueller Mobilität soll der Anteil von „mit konventionellem Kraftstoff“ betriebenen Fahrzeugen in den Innenstädten bis 2030 halbiert und bis 2050 gar absolut minimiert werden. Grundsätzlich strebt die EU eine „umfassendere Anwendung des Prinzips der Kostentragung durch die Nutzer und Verursacher und größeres Engagement des Privatsektors zur Beseitigung von Verzerrungen“ an.

Die Lehren aus der Corona-Pandemie

Die COVID-19-Pandemie hat uns eindrucksvoll vor Augen geführt, wie wichtig funktionierende Verkehrsnetze und effektiv organisierte Mobilität für Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft und für den Erhalt des Wohlstands sind. Die Corona-Krise zeigt auch, welch hohen Stellenwert reibungslos funktionierende Verkehrssysteme gerade im Krisenfall haben. Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wurden daher Eckpunkte für einen Pandemie-Notfallplan erarbeitet, um im Krisenfall Lieferketten und damit die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten zu sichern.

Digitalisierung als Chance für eine umfassende Verkehrswende

Klar ist: Die Herausforderungen, vor denen der europäische Verkehrssektor steht, machen eine umfassende Verkehrswende notwendig. So kann z.B. das Ziel einer vollständigen Dekarbonisierierung des Verkehrs nur mit emissionsneutraler Mobilität erreicht werden. Neben politischen Weichenstellungen sind Innovationen von entscheidender Bedeutung. Der „New Mobility Approach“ der deutschen EU-Ratspräsidentschaft versteht Klimaschutz und Innovation als eine Einheit, die Verkehr und Logistik von Anfang an europäisch denkt. Das betrifft neben der Entwicklung neuer, nicht-fossiler, synthetischer Kraftstoffe oder dem Ausbau von Ladeinfrastrukturen für die E-Mobilität insbesondere digitale Technologien. Mit der Finanzierungsverordnung „Connecting Europe Facility“ werden etwa die Voraussetzungen geschaffen, das sogenannte TEN-Streamlining, also den Ausbau EU-weiter multimodaler Korridore für schnelle Verbindungen, zu realisieren. Bis 2030 sollen die Kernnetze verwirklicht sein; die Vision ist, mit einem Ticket und möglichst wenigen Umstiegen beispielsweise von Helsinki über Kopenhagen und München nach Malta reisen zu können. Möglich gemacht wird dies maßgeblich durch intelligente Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger, die so nicht nur effizienter, sondern auch umweltfreundlicher werden.

Wenn es gelingt, in der europäischen Verkehrspolitik Klimaschutz und Innovation zu verbinden, ist dies eine Chance, die europäische Einigung zu vertiefen und der Europäischen Union im globalen Wettbewerb eine gute Position zu sichern.