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Holger Osterrieder, Koordinator des Organisationsstabs EU2020 im Auswärtigen Amt, erzählt im Interview von den Herausforderungen, plötzlich eine digitale wie auch physische Ratspräsidentschaft zu organisieren und dabei kreativ zu sein.

Herr Osterrieder, Sie haben den Organisationstab der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 im Auswärtigen Amt koordiniert. Was ist eigentlich die Aufgabe des „Organisationsstabs“?

Holger Osterrieder: Politik sichtbar zu machen und einen angemessenen Rahmen für den produktiven Austausch zu schaffen – das ist unsere Aufgabe. So ermöglichen wir persönliche Begegnungen, in ganz Europa, unter Politikerinnen und Politikern, Bürgerinnen und Bürgern, und Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft.

Dabei haben uns „protokollarisch-organisatorische“ Grundprinzipien für alle Veranstaltungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft geleitet - unabhängig davon, ob diese im Präsenzformat, hybrid oder virtuell stattfanden: Arbeitseffizienz, Nachhaltigkeit, Gastfreundschaft, Regionalität und Innovation.

Die protokollarisch-organisatorischen Grundprinzipien für die Ratspräsidentschaft:

  • Arbeitseffizienz durch die Fokussierung auf klare definierte Resultate und organisatorisch straff geplante Abläufe;
  • Nachhaltigkeit u.a. durch die umfassende Kompensierung von CO2-Emissionen;
  • Gastfreundschaft z.B. durch individuelle Betreuung der Delegationen, physisch und virtuell;
  • Innovation durch neue virtuelle und hybride Formate;
  • Regionalität durch die Förderung der kulturellen und föderalen Vielfalt Deutschlands, auch im virtuellen Raum.

Ab März 2020 war durch die COVID-19-Pandemie plötzlich alles anders. Was hat sich geändert?

Osterrieder: Die Corona-Pandemie war und ist angesichts ihrer Dimension und der Auswirkungen auf die Bevölkerung sicher auch für uns zuerst einmal ernüchternd. Zugleich war die Arbeit der folgenden Wochen und Monate von einem außergewöhnlich hohen Maß an Energie und Motivation gekennzeichnet. Galt es doch auch weiterhin, durch gemeinsame Begegnungen Europa wieder stark zu machen.

Intensive Abstimmungen, umfangreiche Gespräche und das Sammeln neuer Ideen zusammen mit den Ressorts, den Bundesländern und unseren europäischen Partnern, haben durch die Corona-Pandemie an ganz besonderem Schwung gewonnen – sicherlich zum nachhaltigen Nutzen des europäischen Gedankens.

So hat zum Beispiel der Organisationsstab zu Pandemiebeginn Workshops zu digitalen Konferenzformaten organisiert, in denen neue Methoden, Werkzeuge und protokollarische Möglichkeiten vorgestellt und diskutiert wurden.

Bei der EU27-Lateinamerika-Karibik-Konferenz haben wir zum Beispiel im Auswärtigen Amt in enger Abstimmung mit der Leitungsebene, der Fachabteilung, über 50 Gastdelegationen und unseren technischen Ansprechpartnern die größte hybride Veranstaltung während der Ratspräsidentschaft organisiert. Alle Delegationen, ob deren Teilnahme physisch oder virtuell erfolgte, waren dabei protokollarisch gleichberechtigt.

Trotz der Coronakrise konnten auch vereinzelte physische Ministerräte stattfinden. Mit dem Gymnich-Treffen (dem Treffen der Außenministerinnen und -minister der EU) hat der Organisationsstab Ende August – zusammen mit dem durch das Bundesverteidigungsministerium organisierte Treffen der Verteidigungsministerinnen und -minister – unter Einhaltung striktester Hygieneregeln die größte physische internationale Ministerkonferenz in Präsenzform seit Beginn der Coronakrise in Europa organisiert.

Was waren die größten Herausforderungen einer laufenden Ratspräsidentschaft mit der COVID-19-Pandemie?

Osterrieder: Aus organisatorischer Sicht galt es, alle Veranstaltungen parallel in dreierlei Form zu planen – physisch, virtuell und hybrid – und dabei stets die aktuellsten Herausforderungen der Pandemie mitzubedenken. Hybride Formate, also digital und physisch gleichzeitig, haben dabei einen ganz besonderen Stellenwert gewonnen.

Oftmals werden virtuelle Veranstaltungen auf das reine Funktionieren der Technik reduziert. Sind die Mikrofone stummgeschaltet? Wie ist die Sprach- und Videoqualität?

Aber das ist lange nicht alles, was möglich ist. Traditionell protokollarische Prinzipien sind auch im virtuellen Raum möglich, das heißt: digitale Placements und Familienfotos, bi- und multilaterale Gesprächsformate, multimediale Präsentationen sowie interaktive Rednerlisten. Auch eine umfassende Einzelbetreuung jeder Delegation durch einen Liaison Officer ist möglich.

Dabei ist es uns auch gelungen, den anderen Mitgliedstaaten die kulturelle und regionale Vielfalt Deutschlands zu vermitteln – zum Beispiel mit digitalen City-Touren durch ursprünglich geplante Veranstaltungsorte.

Eine besondere Herausforderung stellte die Verdolmetschung von Videokonferenzen von bis zu 21 Sprachen bei digitalen und hybriden Treffen dar. Durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Sprachendiensten des AA und der Ressorts, den EU-Institutionen – hier der Generaldirektion Dolmetschen der Europäischen Kommission (SCIC) – und der gesamten Bundesregierung hat auch dies gut funktioniert und wir konnten auch hier gemeinsam zukunftsfähige Lösungen erarbeiten.

Welche Bedeutung spielen diesbezüglich die Worte „Flexibilität“ und „Kreativität“?

Osterrieder: Gute Organisation bedeutet stets flexibles und umsichtiges Agieren, vorausschauendes Handeln und das innovative und kreative Lösen von zum Teil kurzfristig auftretenden Problemen.

Auch während der EU-Ratspräsidentschaft hat sich dies erneut gezeigt. Lange im Voraus geplante Abläufe mussten in kürzester Zeit mehrfach an die Pandemiesituation angepasst werden, die es so vorher noch nie gab. Zugleich kam es darauf an, (auch intern) neue Kommunikationsformate zu entwickeln, wie digitale Referatsklausuren und Meetings, Workshops oder Briefings.

Eine nachhaltige Ratspräsidentschaft zu organisieren war eines der Ziele der Bundesregierung. Was bedeutet das genau und ist das auch unter Pandemiebedingungen gelungen?

Osterrieder: Die Bundesregierung hat das Ziel der nachhaltigen und klimaneutralen Ratspräsidentschaft unter Pandemiebedingungen konsequent weiterverfolgt und umgesetzt. Die unvermeidbaren CO2-Emissionen wurden ausgeglichen, indem internationale Klimaschutzprojekte in Malawi, Uganda und Sambia unterstützt wurden. Zusätzlich wurde auf die Wiederverwertbarkeit von Materialien geachtet und auf Give-aways verzichtet.