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Die Europäische Union hat international Gewicht. Das wird auch diese Woche wieder deutlich, wenn gleich zwei wichtige informelle Treffen auf der Agenda stehen. Um einheitliche Positionen zu erarbeiten, tauschen sich die Außenministerinnen und Außenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union regelmäßig im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) unter dem Vorsitz des Hohen Vertreters Josep Borrell zu außenpolitischen Themen aus. Diese Woche findet das so genannte Gymnich-Treffen in Berlin statt, das traditionell ein außenpolitischer Höhepunkt jeder EU-Ratspräsidentschaft ist. Auch die Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsminister treffen sich in dieser Woche zum informellen Austausch im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), die ein Teilbereich der GASP ist.

Die aktuelle Struktur der GASP geht auf den Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2009 zurück, der während der letzten deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 in seinen Grundlagen vorbereitet wurde. Doch wie sah es davor aus?

Als Anfang der 1950er-Jahre die ersten Schritte zu einer europäischen Einigung unternommen wurden, konnte von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik noch keine Rede sein: Nach der Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) durch die Verträge von Rom (1958) entstand zunächst eine informelle politische Zusammenarbeit zwischen den Regierungen in Fragen des gemeinsamen Außenhandelns. Ab Anfang der 1970er-Jahre etablierte sich diese als „Europäische Politische Zusammenarbeit“ (EPZ). Um einen offenen und vertrauensvollen Austausch zu etablieren, fand 1974 erstmals ein informelles Außenministertreffen auf Schloss Gymnich in der Nähe von Bonn statt, das als so zielführend empfunden wurde, dass daraus eine Tradition entstand. Bis heute findet während jeder EU-Ratspräsidentschaft ein informelles Treffen der Außenministerinnen und Außenminister im sogenannten „Gymnich“-Format statt, das auf jenes erste Treffen bei Bonn zurückgeht.

Die Entstehung der GASP

Aus der „Europäischen Politischen Zusammenarbeit“ entwickelte sich Schritt für Schritt eine gelebte politische Praxis europäischer Kooperation über die Verträge hinaus, die schließlich mit der „Einheitlichen Europäischen Akte“ (EEA) 1984 erstmalig auf eine rechtliche Grundlage gestellt wurde. Mit diesem Vertrag erklärten die Staats- und Regierungschefs in Mailand nicht nur ihre gemeinsame Absicht zur Gründung einer Europäischen Union, auch die Zusammenarbeit in der Außenpolitik fand erstmals Eingang in die europäischen Verträge.

Mit dem Vertrag von Maastricht erreichte die politische Zusammenarbeit 1993 eine neue Stufe, da dieser die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) vertraglich begründete. Die GASP sicherte Europa in außen- und sicherheitspolitischen Fragen Handlungsfähigkeit, beispielsweise durch die Formulierung „Gemeinsamer Standpunkte“ und die Möglichkeit „Gemeinsamer Aktionen“. Sie wurde sukzessive ausgebaut, nachdem in den Jugoslawien-Kriegen der 1990er-Jahre deutlich zutage getreten war, welche Defizite bestanden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen schufen sich die Europäer mit dem Vertrag von Nizza im Jahr 2001 erstmals gemeinsame verteidigungspolitische Instrumente, unter anderem den Militärausschuss der EU (EUMC) und den Militärstab der EU (EUMS), die Politisch-Militärische Gruppe (PMG) und den Ausschuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements (CIVCOM).

Mit dem Vertrag von Lissabon gelang 2009 ein weiterer großer Schritt in der Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Außenhandelns. Denn das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik, der vom neu geschaffenen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) unterstützt wird und diesen leitet, ermöglichte eine stärkere Kohärenz und Kontinuität europäischer Außenpolitik und verlieh der Stimme Europas international Gewicht.

Die Perspektiven der GASP

Seit den Anfängen der gemeinsamen europäischen Außenpolitik hat sich die Welt erheblich gewandelt. Die EU ist von 12 auf 27 Mitglieder gewachsen, die geopolitischen und geostrategischen Prioritäten sind im Begriff, sich fundamental zu verändern. Neue Akteure treten auf die internationale Bühne und die weltweite Situation ist von geopolitischem Wettbewerb und neuen Unsicherheiten geprägt. Mehr denn je geht es heute darum, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.

Nach einer informellen Videokonferenz der Außenministerinnen und Außenminister am 14. August 2020 und der Sondertagung des Europäischen Rates zu Belarus vor wenigen Tagen, werden in dieser Woche wieder die Lage in Belarus, im östlichen Mittelmeer, in Libyen und weitere aktuelle Themen diskutiert. Auch das Verhältnis der EU zu Russland und der Türkei steht auf der Agenda.

Die aktuelle politische Lage verdeutlicht, wie wichtig der Einsatz für eine regelbasierte, solidarische, nachhaltige und multilaterale internationale Ordnung ist. Hierfür setzt sich die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ein, denn Europa wird als Stabilitätsanker und als handlungsfähige und gestaltende Kraft mehr denn je gebraucht.