Hauptinhalt

Ihr Weg führt sie durch halb Europa. Von Rom bis Glasgow, von der Slowakai bis Warschau. An jeder Station lernen sie Neues: Neue Perspektiven, neue Fähigkeiten, manchmal eine neue Sprache, ein Quiz, Thai-Chi oder Boxen. Bis Mitte 2021 sind die humanoiden Roboter Gaia und Nao noch unterwegs. Die Tour ist Teil des Projekts Generation A=Algorithmus des Goethe-Instituts im Rahmen des Kulturprogramms zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Mit dem Programm will das Goethe-Institut eine konstruktive Diskussion über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in unserer Gesellschaft beleben.

Im September war Gaia zu Gast in Bremen bei Rebecca Klimasch, 21, Studentin digitale Medien, und Nico Nienaber, 25, Informatikstudent, im Oktober reiste sie zum niederländischen Künstler und Informatiker Floris Maathuis, 43, nach Groningen bei Rotterdam.

Frau Klimasch, Herr Nienaber, Sie haben vier Wochen lang mit einem Roboter in ihrer Bremer Wohnung zusammengelebt. Wie war das?

Nico Nienaber: Gaia kam in einem großen Koffer aus Mailand, eingewickelt in Luftpolsterfolie. Laptop mit Programmen und Router wurden separat geliefert…

Klimasch: …. Ich war fürchterlich aufgeregt, als wir sie ausgepackt haben. Erstaunlich wie klein Gaia war…

Nienaber: … ein bisschen wie ein Baby, mit ganz lockeren Armen und Beinen…

Klimasch: … dann haben wir versucht, sie einzuschalten, aber es funktionierte erstmal nichts. Wir hatten Angst, etwas kaputt zu machen. Irgendwann stand Gaia dann vor uns, in der „Grundposition“, schaute uns mit ihren Kameraaugen an und sagte: Hallo, ich bin Gaia. War schon irgendwie berührend.

Nienaber: Für dich war sie Gaia, für mich eher der Roboter. Ich studiere Informatik und habe da einen nüchternen Blick.

Nico Nienaber und Rebecca Klimasch mit Gaia, der Roboter in seiner Lieferbox © privat
Schließen

Was hat Sie denn bewogen, Gaia bei sich aufzunehmen?

Nienaber: Ich war einfach neugierig wie Gaia technisch funktioniert. Noch nie hatte ich direkt an einem Roboter gearbeitet, schon gar nicht mit einem, den man zuhause hat. Mit Gaia konnten wir nun jeden Tag experimentieren…

Klimasch: … und sie näher kennenlernen. Diese Interaktion mit einem Roboter im Alltag hat mich interessiert. Wie funktioniert das Miteinander von Mensch und Maschine? Was braucht es, damit sie gelingt? Im Studium beschäftige ich mich damit, worauf es bei der Gestaltung der digitalen Welt ankommt, zum Beispiel, wenn man Roboterarme als Assistenz für behinderte Menschen einsetzt.

Nienaber: Wir haben gleich nach Gaias Ankunft ausprobiert, was sie kann. Das Team in Mailand hatte ihr ein wenig Tanzen beigebracht, etwas Italienisch sprach sie auch, sie konnte eine Person an die Hand nehmen und gemeinsam einige Schritte gehen.

Und was wollten Sie Gaia beibringen?

Nienaber: Fußballspielen. Die Uni Bremen ist führend in der Programmierung von Fußballrobotern und achtfacher Weltmeister bei internationalen Robot-Fußballmeisterschaften. Diese Roboter werden natürlich jahrelang trainiert. Es war ganz schön schwierig, Gaia da weiterzubringen. Immerhin konnten wir ihr beibringen, einen Ball zu schießen.

Wir wollten über Gaia ein wenig von dem, was uns an der norddeutschen Kultur besonders wichtig ist, nach Europa tragen.

Klimasch: Und sie hat noch etwas bei uns gelernt: ein Bremen Quiz. Nach der Begrüßung fragt sie jetzt den User: Wenn du mit mir Fußballspielen willst, berühre meinen linken Arm, wenn du Lust auf ein Bremen-Quiz hast …

…berühre meinen rechten?

Klimasch: ... genau und dann löchert sie ihr Gegenüber mit Fragen: Was sind die norddeutsche Kohltour und der Freimarkt, was bedeutet „Moin“ und wann sagt man es, oder welche Tiere gehören zu den Bremer Stadtmusikanten? Wir wollen damit ein wenig von dem, was uns an der norddeutschen Kultur besonders wichtig ist, nach Europa tragen.

Hat sich ihr Verhältnis zu Gaia in den vier Wochen, die sie zusammen verbracht haben, geändert?

Nienaber: Je mehr Fortschritte wir mit ihr beim Programmieren machten, desto interessanter und interaktiver wurde es. Man versteht immer besser, wie der Roboter tickt. Digitalisierung sollte mehr gefördert werden in Deutschland, in Europa, denn wir alle müssen lernen, kompetent mit der Technologie umzugehen.

Klimasch: Gaia war für mich schließlich so etwas wie ein vertrautes Spielzeug. Ihre Macher haben es darauf angelegt, dass sie einem menschlich näher rückt. Wenn sie zum Beispiel eine neue Bewegung lernen soll und dabei hinfällt, sagt sie „au“. Mir hat die Zeit mit Gaia noch einmal klar gemacht, wie wichtig es ist, dass die Menschen Angst vor Robotik verlieren, wenn wir Künstliche Intelligenz einsetzen wollen. Gaia nach der langen Zeit weiter auf ihre Reise nach Rotterdam zu schicken, ist mir schon schwer gefallen….

Alltag von Floris Maathuis mit Gaia im niederländischen Groningen: Haushaltsaufgaben, Ausfahrt im Kinderbuggy, erste Gehversuche, bereit für das Boxtraining (v.oben li im Uhrzeigersinn) © Floris Maathuis/Pieter van Dijken/Chantalla Pleiter
Schließen

Von Bremen nach Groningen in der Nähe von Rotterdam. Herr Maathuis, bei Ihnen ist Gaia Anfang Oktober eingezogen. Fanden Sie den Roboter auch menschlich?

Floris Maathuis: Viel zu menschlich. Gaia ist sehr süß, sehr harmlos. Ich wollte ihr diese Süße so weit wie möglich nehmen. Als Künstler beschäftige ich mich mit der Frage, inwieweit Technologie uns als Individuen und unsere Gesellschaft verändert. Kunst kann diese Veränderungen sichtbar machen. In der Arbeit mit Gaia wollte ich daher herausfinden, wie Menschen reagieren, wenn sie mit Maschinen umgehen müssen, die unfreundlich und manchmal aggressiv sind.

Gaia ist sehr süß, sehr harmlos. Ich wollte ihr diese Süße so weit wie möglich nehmen, um herauszufinden, wie Menschen auf Maschinen reagieren, die unfreundlich und manchmal aggressiv sind.

Wie also haben Sie Gaia verändert?

Gaias Bewegungen folgten automatisch der menschlichen Stimme, sie blickt Menschen ins Gesicht, so wirkt sie aufmerksam und interessiert. Das habe ich ihr abtrainiert. Sobald sie jemand anschaut, dreht sie sich jetzt um. Dann habe ich Elemente aus dem Horrorfilm „Child´s play“ aufgegriffen, in dem die Mörderpuppe Chuckie mit blutunterlaufenen Augen und einem Messer in der Hand herumspaziert. Nun läuft Gaia also mit rotflackernden Augen mit einem Messer auf Besucher zu, erst im letzten Moment sagt sie: „Oh, das war ein Irrtum“.

Sie nutzen auch, dass Gaia über Gesichtserkennung Alter, Geschlecht und Stimmung eines Menschen schätzen kann …

…indem ich Gaia ihm oder ihr das Ergebnis ins Gesicht sagen lasse, auch wenn sie oft völlig falsch liegt. „Ich glaube, du bist 40 Jahre alt“. Da ist ein Endzwanziger nicht begeistert. Und ich habe Gaia boxen beigebracht. Sie fordert die Menschen zum Kampf auf.

Dann haben Sie ausprobiert, wie Menschen auf so einen komischen Roboter reagieren?

Genau. Und viele waren irritiert, fast verstört. Sie konnten sie nicht einschätzen, was dahintersteckt und was der Roboter als Nächstes tun wird. Eine Maschine gibt keine Hinweise, es fehlen Mimik, Gestik, Stimmlage etc. Manche versuchten sie mit Freundlichkeit gewogen zu machen: „Ich will dein Freund sein und nicht mit dir kämpfen“. Andere näherten sich ihr mit Forschergeist: Wie funktioniert diese Maschine?

Aber alle sind in den Boxring gestiegen?

Ja, interessanterweise haben alle die Herausforderung angenommen.

Nun ist Gaia gerade mal kniehoch.

Schon, doch es ging um eine Art metaphorischer Auseinandersetzung. Ihr haben sich alle gestellt. Es war dabei spürbar, wie sehr die Menschen eine positive Beziehung zur Maschine suchen. Letztlich sahen alle eine Art Persönlichkeit in ihr, die sie irgendwie mochten. Ich glaube, weil sie ihnen immer noch klein und harmlos vorkam. Menschen scheinen sich zu Robotern hingezogen zu fühlen. Und Gaia war noch nicht gefährlich genug, um sie wirklich skeptisch zu machen.

Bedrohlicher Roboter: Gaia lernt boxen. Sie fordert die Menschen auf zum Kampf im Ring © Floris Maathuis/Pieter van Dijken/Chantalla Pleiter
Schließen

Sie knüpfen mit Ihren Überlegungen an den Science-Fiction-Autor Isaac Asimov an, der sich schon in den 1960er Jahren mit den Gefahren von Künstlicher Intelligenz beschäftigte. In seiner Science-Fiction-Erzählung Runaround entwickelte er „Robotergesetze“, die Menschen im Zusammenleben mit Robotern schützen sollen.

Ich halte diese Fragen für sehr wichtig, wenn wir in Zukunft mehr künstliche Intelligenz in allen Bereichen der Gesellschaft einsetzen wollen. Wir müssen genau hinschauen: Wie wollen wir das Miteinander von Mensch und Maschine gestalten? Welche Aufgaben kann und soll künstliche Intelligenz übernehmen? Wir sollten uns hüten, Robotern vorschnell alle möglichen Aufgaben zu übergeben, nur weil sie diese schnell und billig zu bewältigen scheinen. Sicher kann Künstliche Intelligenz zum Beispiel Texte schreiben, aber kann sie es wirklich so kreativ und reflektiert wie Menschen? Mensch und Maschine sind gut in unterschiedlichen Dingen. Ich glaube, die Zukunft liegt in der Kooperation.

In Glasgow lernt Gaia einen Tanz aus der New Yorker Gayszene. Als Symbol dafür, wie wichtig es ist, für Diversität und Menschenrechte zu kämpfen, für europäische Werte.

Jetzt ist Gaia in Glasgow.

Ich habe mit dem Team dort gesprochen – sie bringen ihr einen Tanz aus der New Yorker Gayszene bei. Als Symbol dafür, wie wichtig es ist, für Diversität und Menschenrechte zu kämpfen, für europäische Werte. Das macht dieses Projekt so spannend: Auf ihrer Reise durch Europa nimmt Gaia so viele unterschiedliche Aspekte mit, die erst gemeinsam die Vielfalt der Debatte um künstliche Intelligenz einfangen.


Termintipp: Künstliche Intelligenz und Europa ist Thema der „Intimate Couch Lesson: AI + Europe“ am 18.Dezember. Teilnehmende können mit dreißig Expertinnen und Experten über KI und Demokratie, Privatsphäre oder Regulierungen in Europa diskutieren. Anmeldung hier.

Weitere Informationen über das Kulturprogramm zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft finden Sie hier oder im folgenden Film.

Das Kulturprogramm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft