Hauptinhalt

Was genau ist das neue Migrations- und Asylpaket?

Das neue Migrations- und Asylpaket baut auf der Europäischen Migrationsagenda der Kommission von 2015 (und nachfolgenden Vorschlägen von 2018) auf. Insbesondere die Verhandlungen über ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) als ein wesentlicher Pfeiler der europäischen Migrationspolitik waren danach mangels Einigkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten ins Stocken geraten.

Unter dem Titel „Migrations- und Asylpaket“ hat die Kommission unter ihrer neuen Präsidentin Ursula von der Leyen eine Mitteilung und ein Bündel von neuen legislativen und nicht-legislativen Vorschlägen vorgelegt. Auf deren Grundlage soll eine Neuausrichtung und Modernisierung der europäischen Asyl-und Migrationspolitik erreicht werden.

Vorschläge für ein neues Reformpaket für die europäische Migrationspolitik waren ursprünglich von der Kommission bereits für Anfang dieses Jahres angekündigt worden. Warum wurde es erst jetzt veröffentlicht?

In ihrem jährlichen Arbeitsprogramm verpflichtet sich die Kommission auf politischer Ebene, eine gewisse Anzahl prioritärer Vorhaben im Laufe eines Kalenderjahrs umzusetzen. Im Arbeitsprogramm 2020 hatte die Kommission eine Mitteilung zu einem neuen Migrations- und Asylpaket sowie begleitende Vorschläge (legislativ und nicht-legislativ) für das 1. Quartal 2020 angekündigt. Aufgrund der Corona-Pandemie kam es zu Verzögerungen bei der Vorlage des Reformpakets.

Welche Rechtsnatur hat das Migrations-und Asylpaket?

Rechtsgrundlage für die Mitteilung und die Legislativvorschläge sind Artikel 78 und 79 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Bei dem Reformpaket handelt es sich um eine Initiative der Kommission, die in Form einer Mitteilung veröffentlicht wurde. Sie hat für sich genommen keine rechtsetzende Wirkung.

Die Mitteilung zu einem neuen Migrations- und Asylpaket vom 23. September 2020 wird von einem Fahrplan mit Vorschlägen der Kommission begleitet. Dazu gehört ein Zeitplan für das weitere Vorgehen bei den Verhandlungen bzw. der Umsetzung des Reformpakets (sog. „Roadmap“). Zum Reformpaket gehören insgesamt fünf legislative Vorschläge (Verordnungstexte) und vier nicht-legislative Vorschläge (drei Empfehlungen und eine Leitlinie).

Bei den in dem Migrations- und Asylpaket enthaltenen legislativen Vorschlägen handelt sich um Verordnungen. Eine Verordnung ist ein verbindlicher Rechtsakt, den alle EU-Länder in vollem Umfang umsetzen müssen. Im Gegensatz dazu gibt es auch europäische Richtlinien. Eine Richtlinie ist ein Rechtsakt, in dem ein von allen EU-Ländern zu erreichendes Ziel festgelegt wird. Es obliegt jedoch den einzelnen Ländern, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen.

Die Dokumente sind seit dem 23. September 2020 auf der Webseite der Kommission abrufbar.

Welche Themenfelder behandeln die Mitteilung und die begleitenden Vorschläge der Kommission?

Das Reformpaket aus neuen legislativen und nicht-legislativen Vorschlägen der Kommission betrifft neben einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auch die Bereiche Bekämpfung von organisierter Schleuserkriminalität und irregulärer Migration, legale Migration, Resettlement und humanitäre Aufnahmen, Rückkehr und Integration.

Was ist das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) und warum soll es reformiert werden?

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) setzt sich bisher aus insgesamt sieben europäischen Rechtsakten zusammen. Kernstücke sind unter anderem Mindeststandards für den Zugang und die Durchführung von Asylverfahren (Asylverfahrensrichtlinie) und für die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden (Aufnahmerichtlinie) in den EU-Mitgliedstaaten. Weiterhin ist die sogenannte Eurodac-Verordnung Bestandteil des GEAS: Die Datenbank Eurodac ermöglicht den Abgleich von Fingerabdrücken von Asylsuchenden, damit festgestellt werden kann, in welchem EU-Mitgliedstaat ein Asylsuchender das erste Mal registriert wurde. Dies ist relevant für die ebenfalls sehr wichtige sogenannte Dublin-Verordnung, in der bislang geregelt wird, welcher EU-Mitgliedstaat für die Durchführung der Asylverfahren einer Person zuständig ist. Das GEAS zielt auf die Angleichung der Asylsysteme der EU-Mitgliedstaaten ab, damit jeder Asylsuchende gleichbehandelt wird, egal, in welchem EU-Mitgliedsstaat er oder sie einen Asylantrag stellt. Hierzu führt die Anerkennungsrichtlinie die Gründe für die Gewährung von internationalem Schutz genauer auf.

Auch die Resettlement-Verordnung wird zum GEAS gezählt. Mit ihr soll ein europarechtlicher Rahmen für die Neuansiedlung und Aufnahme aus humanitären Gründen von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die internationalen Schutz benötigen, geschaffen werden. Die Aufnahmen an sich sollen auch künftig für die EU-Mitgliedstaten freiwillig bleiben. Schließlich unterstützt das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) bereits heute die EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des GEAS. EASO soll zukünftig zu einer umfassenden EU-Asylagentur ausgebaut werden (EUAA-Verordnung).

Nach wie vor gibt es zahlreiche Herausforderungen in der europäischen Asylpolitik, wie eine deutliche Asymmetrie bei den Asylanträgen zu Lasten der EU-Außengrenzstaaten und einiger Zielstaaten von Sekundärmigration, darunter Deutschland. Das geltende Zuständigkeitssystem nach der Dublin-Verordnung vermag diese Asymmetrien nicht auszugleichen, nicht zuletzt, weil auch die Umsetzung des GEAS in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zum Teil uneinheitlich erfolgt. Die Vorgänge in Moria rücken die Herausforderungen einmal mehr in den Blick und verdeutlichen, dass ein Neuanfang für ein krisenfestes Asyl- und Migrationssystem dringend notwendig ist.

Als ersten Schritt hat die Kommission am 23. September 2020 das neue Migrations- und Asylpaket vorgelegt und damit den Weg für einen Neustart in der Debatte um eine europäische Asyl- und Migrationspolitik bereitet. Auf dieser Grundlage werden die Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten nun zügig aufgenommen, um den Reformprozess voranzutreiben und eine gute Lösung für ein krisenfestes und reibungslos funktionierendes System zu finden.

Ist die Öffentlichkeit bei der Erarbeitung des Reformpakets durch die Kommission beteiligt worden?

Bevor die Kommission neue politische Maßnahmen oder Rechtsvorschriften vorschlägt, beschreibt sie ihre Initiative in einem Fahrplan (Roadmap). Fahrpläne beschäftigen sich mit dem zu lösenden Problem und den zu erreichenden Zielen. Sie erläutern neben den politischen Optionen und wesentlichen Merkmalen der Konsultationsstrategie auch, warum die EU auf diesem Feld tätig werden muss.

Am 30. Juli 2020 hat die Kommission auf ihrer Webseite den Fahrplan zum neuen Migrations- und Asylpaket veröffentlicht und mit diesem einen öffentlichen Konsultationsprozess eröffnet, der am 27. August 2020 endete. In dieser Zeit konnten sich alle interessierten Personen und Stellen, zu den Plänen der Kommission äußern. Insgesamt hat es 1.829 Stellungnahmen gegeben. Diese sind auf der Webseite der Kommission einsehbar.

Wer hat am Ende über die Inhalte des Migrations- und Asylpakets entschieden?

Unter Berücksichtigung aller eingegangenen Beiträge im Rahmen der öffentlichen Konsultation werden innerhalb der zuständigen Generaldirektionen der Kommission Entwürfe erstellt, die anschließend eine dienststellenübergreifende Konsultation innerhalb der Kommission durchlaufen. Vergleichbar also mit Ressort-Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung.

Die Mitteilung und die begleitenden legislativen und nicht-legislativen Vorschläge wurden von der Kommission, also den 27 Mitgliedern des Kollegiums der Kommissarinnen und Kommissare, in ihrer Sitzung am 23. September 2020 angenommen.

Wie geht es nun mit den Legislativvorschlägen zur Realisierung des Migrations- und Asylpaketes weiter?

Die Legislativvorschläge werden im Rat für Justiz und Inneres von den zuständigen Fachministerinnen und -ministern beraten. Voraussetzung für ihre Verabschiedung ist eine qualifizierte Mehrheit im Rat und die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Im Rahmen der Verhandlungen werden Legislativvorschläge vom Rat der Europäischen Union und vom Europäischen Parlament regelmäßig überarbeitet und geändert.

Der Deutsche Bundestag wird gemäß den Vorgaben des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union beteiligt. Konkret unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag fortlaufend über den Beratungsverlauf im EU-Gesetzgebungsverfahren und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Gibt der Bundestag eine Stellungnahme ab, legt die Bundesregierung diese ihren Verhandlungen zugrunde.

Welche Rolle hat Deutschland im Rahmen der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft und was wird mit den Vorschlägen des Reformpakets nun weiter geschehen?

Hat ein Mitgliedstaat die EU-Ratspräsidentschaft inne, muss er dafür sorgen, dass die Arbeit des Rates systematisch vorangeht und Entscheidungen gefällt werden. Die Ratspräsidentschaft wechselt unter den Mitgliedstaaten der EU im Rotationsprinzip alle sechs Monate. Deutschland hat die EU-Ratspräsidentschaft seit 1. Juli 2020 und noch bis 31. Dezember 2020 inne. Damit kommt Deutschland auch die Aufgabe zu, die Treffen und Arbeiten des Rates der Europäischen Union - in der Formation der jeweiligen Fachministerinnen und –minister - zu leiten und zu moderieren. Bundesminister Horst Seehofer hat also noch bis Ende des Jahres den Vorsitz im Rat der Innenminister der Europäischen Union inne. Der Präsidentschaft obliegt darüber hinaus die Leitung und Moderation der zahlreichen Arbeitsgruppen auf Beamtenebene, in denen die Legislativvorschläge des Reformpaketes verhandelt werden.

Das Reformpaket der Kommission wird erstmals beim virtuell tagenden Rat der Innenminister am 8. Oktober 2020 vorgestellt und beraten. Im Rahmen der laufenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird es nicht möglich sein, alle Legislativvorschläge, die nun auf dem Tisch liegen, abschließend zu verhandeln. Die Bundesregierung will diesen Prozess aber kräftig anstoßen. Mit den nachfolgenden EU-Ratspräsidentschaften (Portugal, 1. HJ 2021; Slowenien, 2. HJ 2021) bildet Deutschland die so genannte Trio-Präsidentschaft. Gemeinsam wird man eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten, um den Reformprozess weiter voranzutreiben.

Was ist der Unterschied zwischen dem nun vorgelegten Migrations- und Asylpaket und dem Migrations- oder dem Flüchtlingspakt der Vereinten Nationen von 2018?

Es handelt sich um Dokumente, die sich im Hinblick auf die jeweiligen Rechtssubjekte (Europäische Union bzw. Vereinte Nationen), ihre Rechtsnatur (geplante europäische Rechtsetzung bzw. unverbindliche Empfehlungen) und ihren Adressatenkreis (Europäische Union bzw. Weltgemeinschaft) unterscheiden.